Widerstand gegen "Flüchtlingsdorf Tempelhof" wächst

Widerstand gegen "Flüchtlingsdorf Tempelhof" wächst

Der Staatssekretär für Soziales, Dirk Gerstle (CDU), der Staatssekretär für Flüchtlingsfragen beim Regierenden Bürgermeister von Berlin, Dieter Glietsch, die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof Schöneberg, Angelika Schöttler (SPD), der Staatssekretär für Bildung, Mark Rackles (SPD), der Staatssekretär für Stadtentwicklung und Umwelt, Christian Gaebler (SPD) (v.l.n.r.) stellten die Pläne für Tempelhof vor

Der Senat informierte in einer Bürgerversammlung über die umstrittenen Pläne auf dem Gelände des Flughafens Tempelhof.

Auf einer Bürgerversammlung hat der Senat am Donnerstagabend seine umstrittenen Pläne für Flüchtlingsunterkünfte auf dem Tempelhofer Feld zur Diskussion gestellt. Mehr als 1000 Berliner kamen dazu in die ehemalige Abfertigungshalle des Flughafens. Kritik wurde reichlich geäußert, es wurde kontrovers diskutiert, teilweise auch kräftig gegen die Politiker ausgeteilt. Die befürchteten Tumulte blieben allerdings aus, die gut zweistündige Versammlung verlief friedlich.

Die Landesregierung will auf dem ehemaligen Flughafen Platz für 7000 Flüchtlinge schaffen. Es wäre die größte Unterkunft bundesweit. Dagegen wird starker Widerstand laut. So viele Menschen auf so engem Raum seien ein Ghetto, kritisierten etliche Teilnehmer der Versammlung. Unter diesen Umständen sei es nicht möglich, die Asylsuchenden zu integrieren. Zudem teilten viele die Befürchtungen der Initiative "100% Tempelhofer Feld", dass der Volksentscheid von 2013 ausgehebelt und nun doch eine Bebauung auf dem Areal ermöglicht werden soll.

Senatoren kamen nicht zur Bürgerversammlung. Auf dem Podium saßen aber gleich vier Staatssekretäre: Dirk Gerstle (Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales), Dieter Glietsch (Flüchtlingsfragen/Senatskanzlei), Christian Gaebler (Stadtentwicklung) und Mark Rackles (Bildung und Jugend). Die Anrainerbezirke waren durch die Bezirksbürgermeisterinnen Angelika Schöttler (SPD, Tempelhof-Schöneberg) und Franziska Giffey (SPD, Neukölln) sowie durch Peter Beckers (SPD), stellvertretender Bürgermeister in Friedrichshain-Kreuzberg, vertreten.

Teilnehmer bekennen, Vertrauen in Politiker zu verlieren

Die Staatssekretäre betonten, wie schon zuvor Abgeordnete der Koalitionsfraktionen von SPD und CDU, die Flüchtlingsunterkünfte sollten nur auf befestigten Flächen südlich und östlich des Vorfeldes errichtet und maximal drei Jahre betrieben werden. Spätestens Ende 2019 müssten die mobilen Bauten wieder abgerissen werden. Teilnehmer der Versammlung zweifelten das an. Sie befürchten eine Verstetigung, wie es in der Vergangenheit schon mehrfach passiert sei. Mehrere Anwesende bekannten, den verantwortlichen Politikern nicht mehr zu trauen.

Der Senat will auf dem Tempelhofer Feld  Platz für 7000 Flüchtlinge schaffen
Der Senat will auf dem Tempelhofer Feld Platz für 7000 Flüchtlinge schaffen
Foto: picture alliance / picture alliance / Wolfram Steinberg

Die Pläne zur Unterbringung von Flüchtlingen auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof widersprechen nach Einschätzung der Regierungskoalition nicht dem Ergebnis des Volksentscheids. Die Freifläche des Feldes werde nicht angetastet, betonte Gaebler. Es gebe keinen Eingriff in das Bauverbot und auch nicht in die Wiesenflächen oder die Freizeitnutzung. Die Hallen für Flüchtlinge sollten auf den versiegelten Rändern des Vorfelds errichtet werden. "Hier entstehen nicht auf Dauer Quartiere", hatten auch Abgeordnete von SPD und CDU versichert.

Für das Vorhaben muss aber nach Auffassung der Koalition das nach dem Volksentscheid verabschiedete Tempelhof-Gesetz geändert werden. In ihrem Entwurf dafür heißt es, dass nur mobile Flüchtlingsunterkünfte sowie mobile Einrichtungen für "Bildung, Begegnung und Betreuung" gestattet werden sollen – mit einer Frist von höchstens drei Jahren und maximal bis 31. Dezember 2019. Die Gesetzesänderung soll im Abgeordnetenhaus am kommenden Donnerstag beschlossen werden.

Dafür hatten viele Teilnehmer der Bürgerversammlung kein Verständnis. Sie werteten es als Arroganz, ja sogar als Verfassungsbruch, ein durch einen Volksentscheid erwirktes Gesetz zu ändern. Staatssekretär Gaebler wies zwar mehrfach darauf hin, dass das Parlament laut Verfassung sehr wohl die Möglichkeit habe, bestehende Gesetze zu verändern. Diese seine Botschaft wurde allerdings nur mit Pfiffen und lauten Buhrufen quittiert.

Der zweite große Kritikpunkt des Abends war die geplante Kapazität von 7000 Flüchtlingen. Mehrfach wurde das Argument geäußert, die mobilen Bauten in Tempelhof wären nicht notwendig, wenn andere Kapazitäten intensiver genutzt würden, etwa leerstehende Wohnungen oder Immobilien, die der Bund angeboten habe. "Der Bund hat eine Liste mit 50 Standorten vorgelegt. Der Senat nutzt davon aber nur sechs", bemängelte ein Vertreter von "100% Tempelhofer Feld". Auch Antje Kapek, Fraktionschefin der Grünen, vertrat diese Ansicht und nannte das Konzept für Tempelhof eine "Verzweiflungsstrategie". Man könne nicht einfach Immobilien beschlagnahmen, warf Bezirksbürgermeisterin Giffey ein. Und Staatssekretär Gerstle betonte, die Angebote des Bundes würden geprüft und auch in Anspruch genommen. Viele müssten aber erst aufwendig hergerichtet werden.

Ein weiteres großes Thema waren die Zustände in den bereits als Notunterkünfte genutzten Hangars. Viele nannten sie unzumutbar und menschenunwürdig. Dort sind derzeit 2500 Menschen in vier Hallen untergebracht, 480 weitere Plätze halte der Senat als Reserve vor, die er aber nur im Notfall nutzen wolle, sagte Dieter Glietsch. Er betonte, der Senat könne auf diese Plätze nicht verzichten, räumte aber ein, dass die Art der Unterbringung nicht geeignet sei, um dort länger zu leben als maximal einige Wochen. Tatsächlich konnten bislang aber nur wenige Bewohner dort ausziehen.

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