Sehr geehrter Herr MdA Buchholz,

18.1.2016

Sehr geehrter Herr MdA Buchholz,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 15.01.2016. Wir begrüßen die Kontaktaufnahme und das transparente Vorgehen der Veröffentlichung von Fragen und Antworten, das Sie in Aussicht stellen. Wir werden unsere Antwort ebenfalls veröffentlichen.

Gerne beantworten wir Ihre Fragen als Beitrag zur öffentlichen Debatte, in Fortsetzung der von uns organisierten Diskussionsveranstaltung am 07.12.2015. Zu Recht erhielten Sie dort Applaus für Ihre Teilnahme als einziger Vertreter der Koalition.

Wir begrüßen es, dass Sie die Meinungsbildung auf Seiten der Abgeordneten über eine öffentliche Debatte weiter fördern wollen. Die gegenteilige Aussage des Regierenden, dass die Zustimmung der Abgeordneten von CDU und SPD am 28.1.2016 bereits vereinbart sei, kennen Sie sicher. Wir sind trotzdem zuversichtlich, dass die Abgeordneten dem vom Senat vorgelegten Gesetz nicht zustimmen werden.

Dieses Gesetz zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen ist eigentlich ein Gesetz zur Aufhebung des Bauverbots auf dem Tempelhofer Feld und damit zum Kippen des Volksentscheids. Es ist, wie die bekannt gewordenen Pläne des Senats bestätigen, auch ein Gesetz, das de facto die bislang in Berlin geltenden Qualitäts- und Mindeststandards für die Unterbringung Geflüchteter umfassend aushebelt. (LAGeSo Berlin, Qualitätsanforderungen für Flüchtlingsunterkünfte, Stand 1.6.2015).

Die dem Gesetzentwurf unterliegende Behauptung des Senats, es gäbe keine Reserven für die Flüchtlingsunterbringung in Berlin, ist schlichtweg falsch. Bund und Bezirke haben sofort verfügbare Grundstücke und Gebäude angeboten, die aber vom Senat nicht weiter verfolgt werden: Allein der Bund stellt prioritär alle (!) freien Bundesliegenschaften für die Flüchtlingsunterbringung zur Verfügung, mietzinsfrei und bei Erstattung der Herrichtungskosten (pdf). Konkret hat der Bund 60 Standorte angeboten – der Senat nutzt nur 6!

Wir hoffen, dass Sie und ihre Kollegen diese Informationen für ihre Meinungsbildung verwenden werden.

Wir sind jedoch irritiert, dass der Flüchtlingsrat Berlin nicht Adressat Ihrer u.g. „Fragen zur Unterbringung von geflüchteten Menschen auf dem Tempelhofer Feld“ ist. Der Flüchtlingsrat beobachtet die Situation und setzt sich für die Rechte und Anliegen geflüchteter Menschen in Berlin seit über 30 Jahren ein; er hat sich auch zur Problematik der Unterbringung der Menschen in den Flugzeughangars mehrfach öffentlich geäußert. Die geplante Ausweitung einer menschenunwürdigen Massenunterkunft, die als Neubau bewusst weit unter den geltenden Mindeststandards für die Unterbringung bliebe, lehnt der Flüchtlingsrat wie viele andere Initiativen ab. Er fordert die Schließung der Hangars, da diese baulich als menschenwürdige Unterkünfte weder geeignet noch herrichtbar sind.

Von der Bürgerveranstaltung am 21. Januar, die Sie erwähnen, haben wir aus dem Abgeordnetenhaus und der Presse erfahren; eine Einladung haben wir nicht erhalten. Wir werden trotzdem teilnehmen in der Hoffnung auf eine breite Diskussion auf Seiten der Bürger.

 

Zu Ihren Fragen zu Unterbringung von geflüchteten Menschen auf dem Tempelhofer Feld:

 

1. Unterstützen Sie grundsätzlich die Überlegungen, das Tempelhofer Feld als Integrations- und Begegnungsort durch die Förderung von zivilgesellschaftlichen Projekten für und mit geflüchteten Menschen zu nutzen?

1.1        Das Tempelhofer Feld ist bereits ein Integrations- und Begegnungsort für alle Menschen; es ist mit 50.000 Besuchern an einem normalen Sommerwochenende wahrscheinlich die beliebteste Grünfläche der Stadt.

 

2. Inwiefern würde Ihrer Meinung nach eine befristete Nutzung der versiegelten Flächen neben dem Vorfeld für mobile Flüchtlings-Unterkünfte die Freizeit- und Erholungsaktivitäten der Berliner Bevölkerung auf dem Tempelhofer Feld unzumutbar einschränken?

2.1        Der Flughafen Tempelhof ist für die Geflüchteten unzumutbar, da eine menschenwürdige Unterbringung nicht gewährleistet ist – weder temporär und erst recht nicht dauerhaft. Auch Integration ist dort nicht möglich, worauf Flüchtlingsorganisationen mehrfach hingewiesen haben.

2.2        Für die Berliner_innen ist es darüber hinaus unzumutbar, dass ein Volksentscheid nicht respektiert wird, dem eine zweijährige stadtweite Debatte vorausging, und für den 740.000 Wählerstimmen (Wahlbeteiligung 1,14 Mio) gestimmt haben.

 

3. Ist nach Ihrer Auslegung des ThFG das Aufstellen mobiler Bauten wie Traglufthallen, Leichtbauhallen, Zelte, Zirkuszelte oder Container für Integrations- und Begegnungsprojekte, Bildungsprojekte wie z.B. Sprachkurse und schulische Willkommensklassen, Sportprojekte oder medizinische Versorgung für eine Zeitdauer von länger als drei Monaten und befristet auf maximal drei Jahre im Bereich der versiegelten Flächen neben dem Vorfeld mit dem Volksgesetz vereinbar, ja oder nein?

Zu 3 ;

3.1              Nach Auffassung des Flüchtlingsrats Berlin, mit dem die Initiative 100% THF zusammenarbeitet, müssen Integrations- und Begegnungsprojekte, Bildungsprojekte wie z.B. Sprachkurse und schulische Willkommensklassen, Sportprojekte oder medizinische Versorgung an den vorhandenen Einrichtungen und Standorten im Quartier dezentral und dauerhaft stattfinden – nicht befristet auf drei Jahre und nicht ausgegrenzt an einem isolierten Massenstandort.

3.2              Die vorhandenen über 20 Bestandsgebäude, die verteilt auf dem Tempelhofer Feld stehen, könnten aber selbstverständlich für kulturelle Projekte aller Berliner_innen und Geflüchteten genutzt werden.

 

4. Sofern kurzfristig keine ausreichenden Unterkunftsmöglichkeiten für Flüchtlinge wie Wohnungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder beschlagnahmte Gewerbeobjekte in Berlin zur Verfügung stehen: Sehen Sie zur Vermeidung von Obdachlosigkeit und einer Entzerrung der räumlichen Situation keinen Vorteil darin, neben den Hangars auch die entfernter liegenden versiegelten Flächen an den Rändern des Vorfeldes für temporäre Unterbringungsmöglichkeiten zu nutzen? (Im „Zwischenbereich“ auf dem betonierten Vorfeld könnten dann vielfältige Aktivitäten wie Sport, Bildung, medizinische Versorgung und Integrationsprojekte in einem geschützten Bereich für Flüchtlinge angeboten werden - Spiel, Sport und Erholung natürlich auch auf dem gesamten „grünen“ Tempelhofer Feld.)

5. Ist es aus Ihrer Sicht mit dem ThFG vereinbar, den Zugang der Allgemeinheit zu diesen Aktivitäten aus Gründen der Sicherheit zu beschränken und dazu die aktuell diskutierten Flächen neben dem Vorfeld ggf. teilweise einzuzäunen (Schutzraum für geflüchtete Menschen) und damit zugleich die Nutzung außerhalb der Öffnungszeiten des Tempelhofer Feldes zu gewährleisten?

Zu 4 und 5:

4.1              Die Frage ist verwirrend: Der Senat plant eine Verdichtung und Erweiterung der Massenunterkunft von heute 2500 auf bis zu 8000 Personen, keine Entzerrung!! Zur Vermeidung von Obdachlosigkeit und einer Entzerrung der räumlichen Situation sollte das ausdrückliche politische Ziel eine dezentrale Unterbringung an vielen Stellen in der Stadt in Wohnungen und kleinen Unterbringungseinheiten bis max. 50 Personen sein.

4.2              Kurzfristig stehen in Berlin menschenwürdige Unterkunftsmöglichkeiten ausreichend zur Verfügung. Diese sind von vielen Akteuren, u.a. auch in unserer Arbeit, dokumentiert (s. auch Frage 7). Es ist hingegen nicht hinzunehmen, dass der Senat menschenunwürdige Substandard-Massenunterkünfte für eine Verweildauern von absehbar vielen Monaten und vielleicht Jahren bewusst plant und errichtet.

4.3              Die Hangars und das betonierte Vorfeld eignen sich überhaupt nicht zur Kommunikation und Alltagsbegegnung zwischen Geflüchteten und Berlinerinnen, und diese findet aktuell auch nicht statt. Genau das sollte aber angestrebt werden!

 

6. Welche Formulierungen müsste eine Gesetzesänderung aufweisen, damit aus Ihrer Sicht ausreichend sichergestellt ist, dass lediglich die diskutierten mobilen Bauten für maximal drei Jahre erlaubt sind und der Bau dauerhafter Gebäude ausgeschlossen ist?

Zu Frage 6.

6.1              Die jüngsten Pläne für mobile Bauten vor dem Vorfeld erfüllen die senatseigenen Qualitätsstandards nicht, wie es bereits jetzt in den Hangars zu beobachten ist. Die Mindestversorgung an hygienischer und anderer Infrastruktur ist dort auch nach Monaten nicht gesichert. Die Lagerhallen mit 1,5-2 m² pro Geflüchteten ohne jegliche Privatsphäre in den Hangars und laut Planung dann in Hallen auch auf den Betonflächen auf dem Vorfeld sind menschenunwürdig!

6.2              Wir fordern, dass der Senat von seinen Plänen der Erweiterung dieser Massenunterkünfte sofort ablässt und stattdessen Alternativen verfolgt, um die Geflüchteten vorübergehend in Gemeinschaftsunterkünfte mit abgeschlossenen Wohneinheiten und möglichst bald in dauerhafte Mietwohnungen zu vermitteln. Die menschenunwürdigen Substandard-Unterkünfte in den Hangars sind so bald als möglich zu schließen.

6.3              Die geplante „temporäre“ Bebauung und Erschließung auf dem Tempelhofer Feld bis Ende 2019 (= vier Jahre) würde öffentliche Mittel verschlingen, die sehr viel besser und nachhaltiger zum Nutzen aller Berliner und Flüchtlinge in dauerhaften preisgünstigen Wohnraum an vielen Standorten in der Stadt zu investieren wären.

6.4              Jede Änderung des ThF Gesetzes, die eine Bebauung ermöglicht, wäre unumkehrbar. Erschließung und Bauten würden nicht rückgebaut und wären baurechtlich mit vereinfachten und beschleunigten Verfahren leicht zu verstetigen und zu erweitern. Aus Respekt vor dem Volksentscheid ist von einer Änderung des ThF Gesetzes abzusehen.

6.5              Zu befürchten ist, dass die aktuell geplante Änderung des THF-Gesetzes nur ein erster Schritt sein soll, das Bauverbot scheibchenweise weiter demontiert werden soll und dass von der mit Steuergeldern vorgenommenen Erschließung für Flüchtlinge im Ergebnis nachfolgende private Bauprojekte profitieren werden.

 

7. Inwieweit bringen sich Mitglieder der Initiative 100%THF aktiv bei der Diskussion um die Schaffung von dauerhaftem neuem Wohnraum für geflüchtete Menschen ein, wenn es insbesondere um die mehr als 20 Standorte von modularen Unterkünften für Flüchtlinge (MUFs) in allen Berliner Bezirken geht?

 

Zu Frage 7:

7.1[nbsp]             Mitglieder der Initiative 100% Tempelhofer Feld und andere Initiativen, wie der Flüchtlingsrat Berlin, Bündnis Neukölln, Moabit hilft und viele mehr, setzen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die Schaffung von Möglichkeiten zum dauerhaften, integrativen und selbstbestimmten Wohnen für geflüchtete Menschen ein und fordern dafür die aktive Unterstützung der Politik.

7.2              Der Flüchtlingsrat hat aufgrund langjähriger Erfahrung in seinem sog. 18-Punkte-Papier vom 4. Januar 2016 umfangreiche praktische Empfehlungen und Vorschläge vorgelegt, wie die Vermittlung und Schaffung von Wohnungen für Flüchtlinge maßgeblich verbessert werden kann. Es ist nicht hinzunehmen, dass der Senat diese konkreten und lösungsorientierten Vorschläge nicht verfolgt und umsetzt. (Flüchtlingsrat Berlin ,Wohnungen für Flüchtlinge statt Massenlagern und Notunterkünften, pdf).

7.3              Die von Ihnen genannten modularen Unterkünfte für Flüchtlinge (MUF) könnten ein Baustein für dauerhaftes selbstbestimmtes Wohnen sein, sind aber laut aktueller Planung nur als Gemeinschaftsunterkünfte nutzbar und nicht mit vertretbarem Aufwand zu Wohnungen umzubauen; sie sind außerdem mit bis zu 500 Geflüchteten pro Standort als zu große Einheiten geplant.

7.4              Es ist uns darüber hinaus unbegreiflich, dass der Senat in der aktuellen Situation des großen Bedarfs und der Vermeidung von Obdachlosigkeit das Problem der geschätzt 10.000 oder mehr illegalen Ferienwohnungen, die es heute in Berlin gibt, nicht wirksam angehen will. Der Senat begeht einen Kardinalfehler, wenn er diese Wohnungen durch Nichtstun der Verwaltung in den Wohnungsmarkt entließe, wo sie absehbar zu sehr hohen Mieten vergeben würden – unerreichbar für die meisten Berliner und Neuankömmlinge. Stattdessen könnte der Senat mit einem Programm „Raus aus der Illegalität, rein in die Flüchtlingshilfe!“ diese tausenden freien bezugsfertigen Wohnungen als Mietwohnungen sofort für Flüchtlinge vermitteln.

7.5              Die der Gesetzesänderung zugrunde liegende Behauptung des Senats, es gäbe keine Gebäude oder Flächen-Reserven für die Flüchtlingsunterbringung in Berlin, ist eine Provokation für die ganze Stadt angesichts der vielen angebotenen, sofort verfügbaren Grundstücke und Gebäude: Der Bund z.B. hat mit höchster Priorität auf den neuen Bedarf reagiert und stellt alle freien Liegenschaften für Flüchtlingunterbringung sofort und mietzinsfrei zur Verfügung (pdf), Herrichtungskosten werden erstattet. Konkret hat die BIma (Bund) dem Land Berlin über 60 Standorte für die Unterbringung angeboten – der Senat nutzt nur 6 davon! Nur ein Teil wurde geprüft, viele verworfen, darunter z.B. das „Haus der Statistik“. Hintergrund: Eine Initiative und der Bezirk Mitte wollen hier 1.000 Flüchtlingen gemeinsam mit Künstlern eine Unterkunft bieten. Der Senat lehnt ab, er habe für das Gebäude „andere Pläne“. Auch Angebote der Bezirke und der Wohnungsbaugesellschaften hat der Senat nicht verfolgt.

18.1.2016

Kampagnenteam 100% Tempelhofer Feld

Esther Witt 0157 808 99 315

Christoph Witt 0170 654 3511

Winfried Sadowski 0176 417 818 60

Stefan Seeger 0176 588 34 716

Julia Michel 0178 286 80 60

Michael Meichßner 030 / 6265958

Kerstin Meyer 0151 10 500 781

Oliver Klar 0179 532 85 65

Helen Neikes 0176 58 83 47 16

Justyna Hayda 0177 332 50 68

Margarete Heitmüller 0172 386 3521

Barbara Feis 0176 588 34 716

 

Vorstand des Vereins Demokratische Initiative 100% Tempelhofer Feld

Mareike Witt 0157 842 91 295 / 0178 923 88 04

Michael Schneidewind 0179 324 64 04

Diego Cardenas 0176 417 88 101

 

ehemalige Vertrauensleute Volksbegehren

Niklas Engelmann

Lena Schulte

 

Flüchtlingsrat Berlin e.V.

Georg Classen 030 243 445 762 / 0157 322 39518

 

 

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