Berlin ist eine besondere Stadt. Schade nur, dass seit jeher ein Großteil der Einwohner kein Gefühl für die Gegebenheiten hat, die Berlin zu einem einzigartigen Ort machen. Nun ist zu befürchten, dass ein weiterer Schatz dieser Metropole vernichtet oder zumindest beschädigt wird. Berlin diskutiert wieder über die Zukunft des Tempelhofer Felds. Über einen geschichtsträchtigen Ort, einen großen grünen Raum, der für das Wohlbefinden der Stadtbewohner unerlässlich ist. Ihm droht ein banales Ende.

Unter Beifall wurde schon viel zerstört, ohne dass Berlin langfristig große Vorteile daraus zog. So wurden Alt-Berlin und Alt-Kölln mit einer heute fast schon unglaublichen Verachtung abgeräumt. Weitere wind- und verkehrdurchtoste Neubaugebiete, die man hastig durcheilt, entstanden dort, wo sich einst belebte Gründerzeitviertel erstreckten. Straßendurchbrüche und der Stadtautobahnbau ramponierten weitere Stadtteile, West-Berlin opferte die Straßenbahn. Doch anders als versprochen wurde der Autoverkehr nicht flüssiger, er wurde dichter. Die Verkehrsschneisen sind längst zugestaut.

Jetzt also richtet sich der Blick wieder einmal auf das Tempelhofer Feld. Auf jene 303 Hektar am Rand der Innenstadt, auf denen Berlin Weite, Ruhe und Frischluft atmet. Auf jenen historischen Ort, an dem während der sowjetischen Blockade 1948/49 die amerikanische Luftbrücke endete und 2008 nach 85 Jahren letztmals ein Flugzeug abhob. Erste Äußerungen der künftigen großen Koalition zeigen, dass der Streit um diese großartige Stadtlandschaft wiederauflebt. Viele Berliner teilen Forderungen, das Feld zu bebauen. Der Furor, mit dem die angebliche „Brache“, aber auch ihre Nutzer abgetan werden, ist erschreckend.

Was kümmert das die Gartenbesitzer in Spandau und Köpenick?

Dass dort mehr als 200 Feldlerchenpaare ihr Revier haben und weitere 26 Vogelarten brüten, dass sich dort geschützte Biotope erstrecken und mehr als 80 Jahre alte Bäume stehen, ruft bei manchen nur mokantes Grinsen hervor. Was sucht die Natur in der Stadt? Dass selbst im Pandemie-Herbst 2020 pro Woche fast 200.000 Menschen kamen: Was kümmert das die Gartenbesitzer in Spandau und Köpenick? Dass die 221 Hektar großen Grünflächen, die Pisten und Taxiways für die 120.000 Anwohner sowie für viele andere ein wichtiges Naherholungsgebiet sind: Leistungsträger können das nicht sein!

Es deprimiert, wie viel Grips investiert wird, um wieder mal über die Zerstörung und Entwertung eines Stücks Berlin nachzudenken. Erneut zeigt sich, dass sich viele Menschen die Stadt nur als Maschine, die zu funktionieren hat, vorstellen können. Oder als Ansammlung von Straßen, die für eine möglichst schnelle Passage zuzurichten sind. Viele Berliner fühlen sich als Insassen einer Alltagstretmühle; wer sich anders präsentiert, kommt ihnen suspekt vor. Wer die Stadt nicht nur als Hamsterrad, Transitkanal oder Verwertungsort begreift, erzeugt Aggressivität und Straffantasien.

Kein Luxus, sondern ein notwendiges Element für die Zukunft Berlins

Doch hier geht es nicht nur um die sechsstellige Zahl von Menschen, für die das Tempelhofer Feld wichtig ist. Hier geht es um die gesamte Stadt, um den Fortbestand Berlins in Zeiten der Erderhitzung. Auf der riesigen Grünfläche kann Regenwasser versickern. Sie ist ein effizienter Kalt- und Frischluftproduzent, der viele Stadtviertel beatmet und kühlt. Damit die Berliner die kommenden Hitzesommer überstehen, wird das Feld noch mehr als heute überlebenswichtig werden. Deshalb ist der Erhalt des riesigen innerstädtischen Kühlaggregats kein Luxus, er ist ein notwendiges Element für die Zukunft Berlins. Selbst wenn nur die Ränder bebaut würden: Die Gefahr, dass die Luftströmungen verstellt oder gar unterbrochen werden, wäre sehr groß.

Es geht nicht darum, für alle Zeiten jede Art von Entwicklung zu verhindern. Doch in Berlin gibt es bereits für eine fünfstellige Zahl von Wohnungen erteilte Baugenehmigungen, die aus Spekulations-  und anderen Gründen bislang nicht genutzt wurden. Aus guten Gründen ließen unsere Vorfahren das Feld frei, selbst als sich im 19. Jahrhundert die Wohnungsnot verschlimmerte. Seit 1915 schützt der Dauerwaldvertrag 10.000 Hektar Wald in der Region Berlin. Auch wenn es damals gute Gründe gegeben hätte, den Grunewald, den Stadtforst Köpenick oder andere Wälder abzuholzen, um in attraktiven Lagen dringend benötigten Wohnraum zu schaffen. Aber um welchen Preis?

Das Feld ist kein leerer Skizzenblock, den man mal eben vollkritzeln kann

Die künftige Koalition sollte sich gut überlegen, ob und für was es sich lohnt, auch nur Teile des Tempelhofer Felds zu opfern. Sie muss darlegen, ob Berlin dadurch tatsächlich Wesentliches gewinnen würde, was an anderen Orten in der Stadt nicht möglich wäre.

Das Feld ist kein leerer Skizzenblock, den man mal eben vollkritzeln kann, nur weil er noch leer ist. Dafür ist es zu wertvoll für diese Stadt.

Kommentar von Peter Neumann, Berliner Zeitung 31.03.2023

 

https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/tempelhofer-feld-in-gefahr-zerstoeren-die-berliner-jetzt-den-naechsten-schatz-li.333193

 

Zurück

Aktuelles